Kritik darf scharf sein – aber nicht herabwürdigend

Mein persönlicher Kommentar

Kunst soll provozieren, aufrütteln, stören, verwirren. Und sie muss kritisiert werden können – ehrlich, scharf, klar. Doch was ich zuletzt gelesen habe, hat mit sachlicher Auseinandersetzung wenig zu tun. Es geht nicht um Musik oder Interpretation, sondern um Spott, Abwertung – und in einem Fall sogar um unverhohlenes Bodyshaming.

In einem aktuellen Beitrag auf Der Opernfreund beurteilte man eine Kollegin nicht nach Stimme oder Darstellung, sondern nach ihrem Körper. Man nannte sie „obszön exhibitionistisch“, ihre Figur „allzu üppig“, ihre Erscheinung nicht eben ansehnliche Weiblichkeit. Ist das Kritik? Nein, das ist ein Angriff. Ein entmenschlichender Blick auf eine Sängerin, die sich mit vollem Einsatz einem Werk widmet. Solche Worte verletzen nicht nur die Betroffene, sie beschädigen auch das Vertrauen zwischen Bühne und Kritik.

Ein weiteres Beispiel des Autors: Dr. Dieter David Scholz veröffentlichte auf Facebook ein Foto aus der Leipziger Orpheus-Inszenierung mit dem knappen Kommentar: „Blöde Party, sonst nix…“ Kein Argument, kein Kontext, keine Analyse. Nur Spott.

Solche Formulierungen zeigen: Manche verstehen Kritik als das Recht, von oben herab zu urteilen – schnell, laut, selbstgefällig. Aber Kritik ist kein Freifahrtschein zur Herabwürdigung.

Ich möchte eines klarstellen: Kunst ist keine Wohlfühlzone. Sie muss sich der Kritik stellen – auch der harten. Doch Kritik darf niemals entmenschlichen, nicht beleidigen und schon gar nicht körperliche Merkmale oder Aussehen thematisieren.

Wir Künstler stehen heute unter großem Druck. Alles ist sichtbar, alles wird bewertet. Umso mehr brauchen wir Kritik, die wirklich hinhört, sich mit dem Werk beschäftigt und interessiert – auch wenn sie ablehnt.

Ich wünsche mir eine neue Ernsthaftigkeit in der Kulturkritik. Kein Herumwerfen mit Pauschalurteilen, keine Häme, keine Verachtung. Sondern ein Gespräch auf Augenhöhe. Denn darum geht es: um ein Miteinander – nicht um Machtspiele.

Denn wem bei einer Opernaufführung zuerst die Figur einer Sängerin einfällt – und nicht ihre Stimme, nicht ihre Leistung, nicht der künstlerische Ausdruck – der sollte sich fragen, ob er wirklich im Zuschauerraum sitzt. Oder doch lieber vorm Spiegel.

Wir machen Kunst, weil wir etwas sagen wollen. Kritiker sollten ihre Worte ebenso verantwortungsvoll wählen.

Bildschirm 26.05.2025 um 21:30 Uhr
Bildschrimaufnahme, Facebookseite des DDS. 26.05.2015

Update: Wenn Geschmack zur Waffe wird

Nach der Veröffentlichung seines Textes verteidigt sich der Autor auf seiner Website mit der Behauptung, sein Text habe „nichts mit Bodyshaming, Sexismus oder Frauenverachtung“ zu tun – sondern sei lediglich ein ästhetisches Urteil über eine Darstellung, die er als „geschmacklos“ empfinde. Wörtlich schreibt er: „Wenn jemand dick ist, darf ich das sagen.“

Genau hier liegt das Problem.

Bodyshaming beginnt nicht beim Hass – es beginnt bei genau solchen Sätzen.
Wenn die Entscheidung einer Künstlerin, wie sie ihren Körper auf der Bühne präsentiert, zum Maßstab für „Würde“, „Noblesse“ und „guten Geschmack“ gemacht wird, dann ist das keine Kritik – sondern Bevormundung.
Dann geht es nicht mehr um Kunst, sondern um Kontrolle.

Wer behauptet, sich einfach nur ehrlich äußern zu wollen, aber gleichzeitig über die „Zumutbarkeit der (fast) Nacktheit“ anderer Menschen urteilt, stellt sich über sie – nicht neben sie.
Und wer Meinungsfreiheit einfordert, ohne die Verantwortung seiner Sprache zu reflektieren, nutzt diese Freiheit nicht – er missbraucht sie.

Man kann über alles sprechen. Auch über Geschmack.
Aber wer andere öffentlich abwertet, muss mit Widerspruch rechnen. Und wer behauptet, das sei „nur seine Meinung“, hat nicht verstanden, dass auch Meinungen Folgen haben.

Und ja, das ist keine Opernkritik…

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